[Méditerranée] Ces naufrages dont on ne parle pas

Immigration. Shipwrecks that no one mentions

« Maritime catastrophes in the Mediterranean, » headlines Tageszeitung which takes a critical look at the media coverage devoted to the sinking of the Costa Concordia.

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The Berlin daily notes that many of the shipwrecks in the Mediterranean “are not front-page news,” and illustrates its article with the photograph of a boat that sank off the coast of a Tunisian island with 700 Libyan refugees on board in June 2011.

Having enumerated a list of “the worst maritime catastrophes in the Mediterranean since 2006,” the Berlin alternative daily remarks:

Hundreds of thousands of people end up as anonymous corpses on the high seas or washed up on rocky beaches. Tens of thousands of refugees fall into the hands of the mafia in a crisis stricken Europe that has no room or humanity for them. […] The dead are among us, whether from a luxury cruise ship or a trawler.

Leur presse (Presseurop), 18 janvier 2012.


Schiffskatastrophen im Mittelmeer

Die schlimmsten Schiffsunglücke im Mittelmeer seit 2006:

1: 28. April 2011: Flüchtlingsboot aus Libyen erleidet Schiffbruch auf dem Weg nach Lampedusa, 320 Passagiere verschollen.

2: 3. April 2011: Flüchtlingsboot aus Libyen erleidet Schiffbruch kurz nach der Abfahrt. 68 Leichen am Strand von Tripolis angespült, 250 Passagiere verschollen.

3: 2. Juni 2011: Havariertes Boot mit über 700 Flüchtlingen vor Kerkennah (Tunesien) kentert während der Rettung. 2 Leichen geborgen, 270 Passagiere vermisst.

4: 7. April 2011: Flüchtlingsboot bricht während Rettung vor Lampedusa auseinander und sinkt. 213 Passagiere verschollen.

5: 29. März 2009: Flüchtlingsboot sinkt drei Stunden nach Abfahrt aus Tripolis. 20 Leichen geborgen, 210 Passagiere verschollen.

6: 27. Oktober 2008: Boot mit 200 Flüchtlingen aus Ägypten Richtung Italien verschwindet. Ein Passagier gab noch per Handy SOS, das Boot wurde nie gefunden.

7: 7. Juni 2008: Boot sinkt auf dem Weg von Libyen nach Italien, mindestens 40 Leichen gefunden, über 100 verschollen.

8: 23. September 2008: Boot mit 83 Ägyptern Richtung Griechenland verschwindet nach drei Tagen spurlos.

9: 20. August 2009: Fünf Eritreer, südlich von Lampedusa aus einem Fischkutter gerettet, berichten von 75 über Bord geworfenen Toten während zwanzigtägiger Irrfahrt.

10: 4. August 2008: 75 Somalis vor Libyen verschollen.

11: 29. März 2011: Boot aus Sfax (Tunesien) nach Lampedusa mit 74 Passagieren verschollen.

12: 27. August 2008: Deutscher Frontex-Hubschrauber ortet Schlauchboot südlich von Malta. Gerettete berichten von 70 Toten.

13: 20. März 2009: Boot aus Sfax (Tunesien) kentert. 17 Leichen geborgen, 50 verschollen.

14: 9. Mai 2011: Eritreisches Flüchtlingsboot kreuzt zwei Wochen vor Italien, Nato-Schiffe helfen nicht, 61 der 72 Passagiere sterben.

15: 22. Mai 2007: Boot mit 57 Menschen vor Malta verschollen.

16: 11. Juni 2008: Schiff von Ägypten nach Griechenland sinkt. 51 verschollen. Einer hatte SOS abgegeben.

17: 10. Mai 2008: Boot sinkt vor Teboulba (Tunesien). Drei Leichen geborgen, 47 vermisst.

18: 19. August 2006: Italienische Marine versenkt Flüchtlingsboot vor Lampedusa bei der Rettung. 10 Tote, 40 vermisst.

19: 9. Oktober 2008: Boot aus Keitra (Tunesien) kentert. Eine Leiche an Strand angeschwemmt, 48 verschollen.

20: 6. Mai 2011: Boot mit 600 Flüchtlingen kentert vor Tripolis, 48 Tote.

(Quelle: « Fortress Europe »)

28: 13. Januar 2012: Kreuzfahrtschiff « Costa Concordia » havariert vor Italien. Bisher 11 Tote, 29 vermisst.


Für unzählige Flüchtlinge ist das Mittelmeer Endstation
Massengrab auf See

Ein Schiffsunglück mit Toten ist eine menschliche Katastrophe, egal wo und wann; und egal auch, woher die Opfer kommen. Die Havarie des Kreuzfahrtschiffes « Costa Concordia » vor Italien mit bislang elf Toten und noch mehreren Dutzend Vermissten unter mehreren tausend Passagieren bringt nun einer breiten Öffentlichkeit nahe, wie lebensgefährlich ein Unglück im Mittelmeer sein kann, sogar nur wenige Meter von einer rettenden Küste entfernt.

Was die Kreuzfahrttouristen jetzt erlebt haben, ist ansatzweise Alltag von unzähligen Reisenden im Mittelmeer. Zehntausende von Menschen stechen jedes Jahr an der Mittelmeerküste in See, in überfüllte Fischerboote gedrängt, in seeuntauglichen Schlauchbooten unterwegs, ohne adäquate Ausbildung und Technik, ohne ausreichende Navigation und Verpflegung.

Sie unternehmen unter unvorstellbar prekären Bedingungen eine Fahrt, für die man in Deutschland Urlaub nimmt, und zahlen dafür teils mindestens genauso viel Geld. Es sind Bürgerkriegs- und Hungerflüchtlinge, Migranten und Abenteurer aus den Ländern südlich des Mittelmeers. Sie kommen aus halb Afrika, aus Teilen der arabischen Welt. Sie verschulden sich hoch in der Hoffnung, in Europa ein Auskommen zu finden, das ihren Familien in der Heimat aus dem Elend hilft. Sie wissen nicht, ob sie jemals an ihr Ziel kommen und was ihnen bei der Ankunft als Illegale blüht.

Hunderte, wenn nicht Tausende von ihnen enden als namenlose Leichen auf hoher See oder auf verlassenen felsigen Stränden. Tausende, wenn nicht Zehntausende von ihnen enden in der Unterwelt eines krisengeschüttelten Europas, das für sie weder Platz noch Menschlichkeit übrighat.

Die Passagiere der « Costa Concordia » beklagen zu Recht Pannen und Schlamperei, und unter Wasser im Schiffsrumpf spielen sich jetzt bei der Suche nach den letzten Vermissten menschliche Dramen ab. Auch die vieltausendfachen Klagen und die Trauer der Hinterbliebenen der Opfer der Seefestung Europa verdienen es, Gehör zu finden. Die Toten sind unter uns: ob die vom Luxuskreuzer oder die vom Fischkutter.

Leur presse (Dominic Johnson, TAZ), 17 janvier 2012.

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